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Es ist okay mit 30 noch keine Kinder zu haben

oder (noch) nicht zu wollen.

(Bald) 30 Jahre alt, seit 8 Jahren ein Paar und über einem halben Jahr verheiratet, erfolgreich im Beruf und fruchtbar: Wann macht ihr endlich eine:n Ur-Enkel:in?

Julia 04.2022 - No Kids 01

Rückblick: Wir haben 2021, leben inmitten einer Pandemie und alle um uns herum sind schwanger. Allein bei unserer Hochzeit im September hatten wir vier Schwangere an Bord und das Fieber reißt auch in 2022 nicht ab.

Als 2021 Anfang des Jahres nicht ganz überraschend in der Familie erster Nachwuchs angekündigt wurde, brach in mir bereits der Stress aus: Ich MUSS das jetzt auch machen, weil es erwartet wird.

Die Reaktionen zu dieser bahnbrechenden Nachricht waren zumindest für einen Teil der Familie scheinbar das Highlight des Jahres und ich wusste nicht, ob ich heulen oder lachen sollte. Das Ganze wurde gebührend zelebriert, mein damals Verlobter und ich nahmen die Bilder auf, in mir arbeitete es.

Der Fakt, dass in mir Leben heranwächst, ist faszinierend, rein aus biologischer Sicht betrachtet. Was das aber dann wiederum mit der Psyche und dem Rest des Körpers macht, welche Folgen das für das eigene Dasein und die nächsten 18 Jahre hat, das macht mir Angst.

Jetzt nicht, vielleicht später

Jetzt Kinder zu bekommen ist für mich (noch) keine Option.

Ich fühle mich dazu nicht bereit, denn ich möchte meine Freiheiten nicht aufgeben: Ich möchte erst Karriere machen und keine „Working-Mom“ sein, die scheinbar beides hervorragend handhabt, doch letztendlich mit der Gesamtsituation nicht zufrieden und komplett gestresst ist. Wie oft sehe ich in die Gesichter und die sichtbare Anspannung, manchmal sogar Überforderung, jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Andererseits möchte ich meine beruflichen Ambitionen auch nicht komplett auf Eis legen und für zwei Jahre aussteigen. Ich möchte am Wochenende ausschlafen, ich möchte Alkohol trinken, ich möchte keine weiteren Dehnungsstreifen, die 100 %ig bekomme werde.

Im Gegenteil: Ich liebe mein Leben gerade genauso wie es ist und ich bin noch nicht bereit das Alles aufzugeben und mich anzupassen. Anzupassen, um 24/7 für eine Kopie von uns da zu sein. Auch mit Kitaplätzen, Kinderkrankheiten oder einer auslaufenden Brust möchte ich mich gerade nicht auseinandersetzen. Wenn ich mich bereit dazu fühle, möchte ich keine halben Sachen machen und mich voll und ganz darauf einlassen können. Mal davon abgesehen: Ist es tatsächlich so toll in Pandemie- und Kriegszeiten Kinder in die Welt zu setzen, ist das generell überhaupt ein „guter Zeitpunkt“ diesen Schritt zu wagen? Für mich jedenfalls nicht.

Ich bin noch nicht da, wo ich sein will, mein Leben fängt mit 30 gerade erst an – die Arbeit läuft, ich bin in den letzten Jahren persönlich über mich hinaus gewachsen und kann mir nicht vorstellen jetzt die Pause-Taste zu drücken. Zudem habe ich gerade ein akzeptables Verhältnis zum Tod meiner Mutter entwickelt und denke weniger über diese traurige Tatsache nach.

Julia 04.2022 - No Kids 02

Das heißt alles nicht, dass es generell für uns keine Option ist eines Tages Nachwuchs zu haben. Der Zeitpunkt ist für uns einfach nicht der Richtige. Wir haben sogar schon seit Ewigkeiten Namen, die wir favorisieren und wir wissen wo es das coolste Spielzeug, Windelabos sowie Erstausstattung gibt. Was für uns Do’s and Don’ts in der Kindererziehung sind, vor allem im ersten Jahr, darüber sind wir uns auch einig. Alles was folgt, ist Training on the Job, wie es heute in der Berufswelt heißt.

Soweit scheint alles geklärt.

Wann macht ihr endlich Ur-Enkel?

Wäre da nicht der penetrante verbale Druck von Außen. Ständig dieselben Fragen und Sätze, die mich innerlich zerreißen. Verzichte ich explizit auf Alkohol, bin ich schwanger – Macht Enkel! – Wann bekommen wir endlich Ur-Enkel? – Biste Schwanger? –  Wann werdet ihr eigentlich Eltern? – Ihr seid ja jetzt verheiratet, dann kommen ja bald die Babys – Beim Kinderwagenschieben der Nichte werden wir verliebt angeschaut: „Hey, das sieht ja mal richtig toll aus!“ Auf der anderen Seite steht die absolute Vergötterung neugeborener Wesen innerhalb der Familie und die permanente Beschallung mit Baby-Content aus dem Bekanntenkreis. Selbst Instagram spamt mich mit passenden Werbeanzeigen zu, als wäre ich gerade freudiger Erwartung und bereite mich mit Inbrunst auf das Mutterdasein vor. Das ist zu viel!

Ich glaube, dass Viele nicht wissen wie es sich anfühlt diesem gesellschaftlichen Druck stand halten zu müssen. Nur, weil du 30 bist und andere um dich herum sich nach dem Nestbau damit beschäftigen, das Nest mit Leben zu füllen, musst du nicht denselben Weg einschlagen. Eure Babys sind süß aber ich finde es auch schön, wenn ich mich damit gerade nicht auseinandersetzen muss.

Es ist okay mit 30 (noch) keine Kinder haben zu wollen.

Es fühlt sich an, als würdest du zu etwas gezwungen werden, das du eigentlich nicht möchtest, es aber falsch ist, diesen Weg nicht einzuschlagen und du mit deiner Entscheidung ALLE um dich herum enttäuscht. Der Vergleich mit Anderen, die den vermeintlich „richtigen Weg“ eingeschlagen haben, lässt dich als Verlierer:in dastehen. Du erhältst weniger Anerkennung, weniger Liebe, du hast versagt. So fühlt es sich zumindest an. Dabei hat das nichts mit „nicht können“ zu tun. Ich bin mir sicher, dass ich mich sehr gut auf die Mutterrolle einlassen kann, ich bin lediglich keine Freundin davon, wenn mir etwas von Außen aufgezwungen wird – Jemand zu sein, die ich nicht sein möchte! Es ist ermüdend sich regelmäßig zu erklären. Was also tun, wenn die eigenen Werte nicht mit denen deines Umfeld übereinstimmen?

Julia 04.2022 - No Kids 03

Wie mit der Situation umgehen?

Ignorieren ist keine gute Strategie, denn die belastenden Fragen werden nicht weniger, sie nagen nur umso mehr an dir und lassen dich zweifeln.

Direkt ansprechen und mitteilen, warum, wieso weshalb bringt meiner Erfahrung nach auch nur selten etwas. Taube Ohren bleiben taub. Der Wunsch der Anderen ist da und bleibt es auch, ob du willst oder nicht.

Akzeptieren ist für mich die beste Lösung aber auch nur an guten Tagen, wenn ich ausgeschlafen und nicht gestresst bin. Es ist schön zu wissen, dass die Nachfrage nach Enkel:innen so hoch ist und die Bereitschaft, ein neues Mitglied im Rudel aufzunehmen. Dass dieses Wesen bedingungslose Liebe widerfahren wird, gibt mir auch ein gutes Gefühl. Letztendlich bleibt die Arbeit jedoch an mir hängen und die Einschränkungen, die damit einhergehen beeinflussen und verändern meinen Körper, meinen Geist, meine Seele. Ich möchte das jetzt nicht. Danke.

Ich kann diese Nachfragen sehr gut verstehen, ist ja auch schön ein Baby im Arm zu halten, es riecht gut und gluckst niedlich rum aber ich würde mir wünschen, dass Außenstehende die Entscheidung, keine oder noch keine Kinder zu bekommen, mehr respektieren würden.

Du entscheidest, wann und ob du bereit für Kinder bist

Letztendlich bin ich weiterhin auf der Suche nach einer Lösung für diese Angelegenheit. Doch das Wichtigste, was ich aus diesem Dilemma mitgenommen habe ist Folgendes: Du musst andere nicht über dich, deinen Körper oder Leben bestimmen lassen! Wenn du dich nicht dazu bereit fühlst, dann lass es! Am Ende des Tages musst du für dich entscheiden, ob du Kinder möchtest oder ob du das Anderen überlässt und lieber die coole Tante oder der coole Onkel bleibst.

Kann dein Umfeld das nicht akzeptieren und deine Entscheidung respektieren, dann wäre es sicher ratsam dir eine Strategie zu überlegen, wie du diesen Menschen zukünftig gegenübertreten möchtest… oder du entwickelst Resilienz: Es ist dir egal und du machst dein Ding.

Mir bereiten diese Unterhaltungen und Baby-lastigen Gespräche frisch gewordener Eltern immer noch Unbehagen aber ich weiß, was ich möchte und was ich nicht möchte. Japp, Justus zahnt gerade, ist jetzt in dem Alter nicht gerade ungewöhnlich. Derzeit möchte ich nur Beobachterin sein: Ab und zu mal rumflachsen, der Nichte die Zunge rausstrecken und die Ruhe genießen, wenn alle samt Kindern wieder weg sind, ich die Musik voll aufdrehen, Messer rumliegen lassen oder mich hemmungslos betrinken kann. Cheers!

Und du so?

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